Rubrikübersicht | Impressum | 06. Mai 2024


Leserbriefe

Offener Brief des VCD an die Stadt Pforzheim zum Lärmaktionsplan

Bild:

Herrn Oberbürgermeister Peter Boch

Frau Bürgermeister Sibylle Schüssler,

Damen und Herren Fraktionsvorsitzende im Pforzheimer Gemeinderat

Lärmaktionsplan Pforzheim -Beschlussfassung

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Boch, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Sibylle Schüssler,

sehr geehrte Damen und Herren Fraktionsvorsitzende,

auf der Gemeinderatssitzung am 15.12. steht zum wiederholten Male die Beschlussfassung über den Lärmaktionsplan auf der Tagesordnung.Angesichts der bisherigen Diskussion möchte wir auf die gesetzlichen Grundlagender Lärmaktionspläne hinweisen:

Es geht um den Schutz der Gesundheit der betroffenen Bürger vor zu hohen Lärmbelastungen. Deshalb appellieren wir an Sie, den Lärmaktionsplan in der am 14.07.2020 vorgestellten Fassung zu beschließen.


Bei 125.000 Einwohnern gibt es 35.287 Lärmbetroffene über 55 dB(A) LDEN und 27.140 Betroffenen über 50 dB(A) LNight.-d.h. rund 30 Prozent der Einwohner leider unter zu hohen Lärmbelastungen, welche ganzüberwiegend vom Straßenverkehr resultieren . Lärmbelastungen oberhalb von 65 dB(A) am Tag und 55 dB(A) in der Nacht liegen in einem gesundheitskritischen Bereich. Daher sind die Bereiche mit Lärmbelastungen über 65 dB(A) LDENund 55 dB(A) LNight einer qualifizierten Lärmaktionsplanung zu unterziehen und Maßnahmen -auch verkehrsrechtlicher Art -zur Minderung der Lärmbelastung umzusetzen. Ein vordringlicher Handlungsbedarf zur Lärmminderung und zur Verringerung der Anzahl der Betroffenen besteht zudem in Bereichen mit sehr hohen Lärmbelastungen jenseits des Schwellenwertes der Gesundheitsgefährdung über 70 dB(A) LDEN und 60 dB(A) LNight, der in Pforzheim für mehr als 7.000 Betroffene überschritten ist. Verwaltung und Gemeinderat sind in der Pflicht, nicht nur bei Corona, sondern auch beim Lärm den Gesundheitsschutz der Bevölkerung sicherzustellen. Hierfür liegt seit Sommer ein Lärmaktionsplanvor, der konkrete lärmmindernde Maßnahmen vorsieht, die kurzfristig umgesetzt werden können. Die Stadtverwaltung hat nun einen „Kompromiss" eingebracht hat, der die Lärmbelastung der betroffenen Straßen gerade nicht reduziert, in dem dort keine Geschwindigkeitsbeschränkungen angeordnet werden. Vielmehr soll für 2,2 Mio. € Flüsterasphalt zur Lärmminderung aufgetragen werden .Hier wundert sich der VCD als langjähriger Beobachter der Pforzheimer Verkehrspolitik nun nicht mehr: Obwohl die Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen ohne finanziellen Aufwand seitens der Stadt (abgesehen von den Kosten für das Aufstellen der Schilder) wäre, soll zur Vermeidung dieser Geschwindigkeitsbeschränkungen für 2,2 Mio. € Flüsterasphalt aufgebracht werden. Und das in einer Stadt, die für Bäder, Radverkehrund ÖPNV kein Geld hat. Heute, am 13.12.2020, wurden die Fahrpreise im ÖPNV weit überdurchschnittlich erhöht (die Tageskarte in Pforzheim kostet 5,70 €, in Stuttgart 5,20 €) während Autofahrer mit der Brötchentaste kostenlos in der Innenstadt parken dürfen. Beim Radverkehr trägt Pforzheim seit Jahrendie rote Laterne. Die Stadt, die 2009 einen Verkehrsentwicklungsplan aufgestellt hat mit dem Ziel den als zu dominierend betrachteten motorisierten Individualverkehrvon damals 58% wieder auf den Stand von 1990 (50%) zu reduzieren, hat in den vergangenen 10 Jahren nichts Substantielles zur Attraktivierung des Radverkehrs und des ÖPNVs umgesetzt. Umgesetzt wurde einzig mit hohem finanziellem Aufwand der Bau des Innenstadtrings und des ZOBs, so dass die Busse dort besser abgestellt werden können. Früher waren die Busse in der Stadt mit Fahrgästen unterwegs: Gab es in den 1990er Jahren noch einen 10-Minuten-Takt, fahren heute die Busse des Stadtverkehrs im 15-oder 20-Minuten-Takt. Entsprechend der gesunkenen Attraktivität des ÖPNVs hat sich der motorisierte Individualverkehr weiter auf 61% erhöht. Mit der Auslagerung der Verantwortung für den ÖPNV auf den eigenwirtschaftlich agierenden RVS spart die Stadt jährlich 5-10 Mio. €, leider wurden diese Einsparungen nicht in bessere Rahmenbedingungen für den ÖPNV oder den Radverkehr, sondern in den Autoverkehr investiert. Die Folge dieser autozentrierten städtischen Verkehrspolitik ist nun eine flächendeckende Überschreitung der Lärmgrenzwerte an fast allen Straßen, die ein flächendeckendes Tempolimit (Tempo 30 oder auf Vorrangstraßen Tempo 40) erfordern. Hätte man die Ziele des Verkehrsentwicklungsplans erreicht, wäre der Autoverkehr nicht mehr so dominierend. Damit wären auch die Lärmgrenzwerte vermutlich nicht überschritten und bräuchten zumindest aus Lärmschutzgründen keine Geschwindigkeitsbeschränkungen angeordnet werden. Statt nun diese Geschwindigkeitsbeschränkungen als Folge der Zielverfehlung aus dem Verkehrsentwicklungsplanzu akzeptieren, verweigern sich wesentliche Teiledes Gemeinderates weiterhin dem Lärmschutz, sondern bestehen auf Tempo 50, was zu keiner Lärmminderung führt. Mit dem Beschlussvorschlag der Stadtverwaltung ,2,2 Mio. € außerplanmäßig für Flüsterasphalt ausgeben zu wollen, wird nochmals bestätigt, dass nur für den ÖPNV und den Radverkehr kein Geld da ist, für den Autoverkehr sehr wohl! Es stellt sich für den VCD die Frage, wie ein Gemeinderat, der sich schon beim Gesundheitsschutz (Lärmschutz) seiner Bürger im Wege steht, denn die Anforderungen des Klimaschutzes angehen möchte. Zur Einhaltung der Klimaschutzziele im Verkehrssektor ist bis 2030 eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen im ÖPNV, eine massive Ausweitung des Radverkehrs und eine Reduktion des Autoverkehrs in den Städten um rund 1/3 nötig. Die weiteren, erst vor wenigen auf EU-Ebene beschlossenen weiteren Verschärfungen der Klimaschutzziele sind dabei noch nicht berücksichtigt.

Wir empfehlen Ihnen, einen Blick auf Freiburg zu werfen und zu schauen, wie dort Verkehrspolitik betrieben wird. Die Stadt hat gerade einen Brief an den Bundesverkehrsminister geschrieben mit der Bitte, flächendeckend Tempo 30 einführen zu können, um die Lebensqualität in der Stadt zu erhöhen. Auch hinsichtlichder Radverkehrs und der ÖPNV-Förderung könnte sich Pforzheim an Freiburg ein Vorbild nehmen. Zusammengefasst empfehlen wir der Verwaltung und dem Gemeinderat der Stadt Pforzheim, den Lärmaktionsplan in der ursprünglichen Fassung zu beschließenund zukünftig den Radverkehr und den ÖPNV tatsächlich zu fördern, statt nur drüber zu reden. Mit den 2,2 Mio. €, die beim Flüsterasphalt gespart werden, könnte ein Schub beim Radverkehr, aber auch beim ÖPNV-Ausbau erfolgen. Nur so kann es gelingen, Pforzheim zu einer lebenswerten, zukunftsfähigen Stadt umzugestalten und den Eindruck einer „Failed City" abzulegen.

Mathias Lieb

VCD Baden-Württemberg

15.12.2020

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