Rubrikübersicht | Impressum | 07. Mai 2024


Leserbriefe

Bedingungsloses Grundeinkommen(BGE) ? Vision oder Utopie ?

Wieder einmal scheiden sich die Geister und ein zaghaftes „JA,JA“ wird übertönt von lautem „NEIN,NEIN“. Ich denke, die Lage der von Armut bedrohten und betroffenen Menschen ist zu ernst, als dass wir uns eine oberflächliche Diskussion über eine der zentralen sozialpolitischen Fragen dieses Jahrhunderts leisten dürfen.
Bevor wir Antworten geben, meine ich, sollten wir in guter sokratischer Tradition erst die richtigen und wichtigen Fragen stellen.

Die erste Frage könnte sein: Welche Schlüsse ziehen wir aus den beiden Fakten, dass 1. der technische Fortschritt und das Gewinnstreben immer mehr Menschen aus dem Produktionsprozess entlässt und 2. die Produktivität (der zu verteilende gesellschaftliche Kuchen) immer größer wird. Folgen: Massenarbeitslosigkeit und unvorstellbarer Reichtum.
Eine Folge-Frage ist, ob die Massenarbeitslosigkeit beendet werden kann, durch eine neue „Vollbeschäftigung“, wie sie die Politik seit Jahren fordert und verspricht. Wenn ja, dann erübrigt sich die Diskussion um ein BGE, weil dann die Sozialkassen wieder voll wären. Wenn nein, da hat Götz Werner recht, wer soll dann seine Produkte kaufen, wenn er kein ausreichendes Einkommen hat ?
Eine weitere Folge-Frage ist, ob und wenn ja, wie der gesellschaftliche Reichtum, der sich als Reichtum Weniger erweist, nicht in viel stärkerem Maß der Allgemeinheit zugute kommen soll ? Welche Rolle spielt dabei die Steuerpolitik ?
Die Forderung nach einem BGE wird populär. Das ist gut so. Brasilien steht kurz vor seiner Einführung. Der humanistische Anspruch auf eine gerechtere Teilhabe aller Menschen, sowohl an der Arbeit ! als auch am gesellschaftlichen Reichtum wird von immer mehr Menschen und Organisationen anerkannt.
Nun macht es nachdenklich, dass die Gewerkschaften und die Linkspartei sich sehr kritisch bis ablehnend äußern, während der Milliardär Götz Werner ebenso wie das Netzwerk Grundeinkommen vehement für ein BGE eintreten. Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut(HWWI), der thüringische Ministerpräsident Althaus – sie alle haben mit eigenen Modellen scheinbar ihr Herz für die Ärmsten entdeckt ?! Sogar der Bundespräsident sieht Handlungsbedarf. Sogar die FDP tritt für ein eigenes Modell ein.
Wo liegt der Widerspruch ? Ich denke, auch hier sollten wir die wichtigen Fragen in Ruhe stellen und in einem breiten gesellschaftlichen Rahmen diskutieren.
Das BGE ist laut Definition des Netzwerk Grundeinkommen.“...ein vom politischen Gemeinwesen ohne eine Bedürftigkeitsprüfung und ohne einen Arbeitszwang ausgezahltes, individuell garantiertes, die Existenz sicherndes und die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichendes Einkommen für alle...“ Es erteilt allen „Versuchen, den Namen `Grundeinkommen`für andere gesellschaftspolitische Ziele und als Feigenblatt für die weitere Demontage des Sozialstaates und Arbeitnehmerrechte zu missbrauchen, eine entschiedene Absage.“
Offensichtlich gibt es in einigen Modellen sozialstaats- armen- und arbeitnehmerfeindliche Absichten oder Tendenzen, die gründlich analysiert werden müssen.
Deshalb ist es unabdingbar, jedes BGE Modell mit einem präzisen Fragenkataloge zu hinterfragen. Zum Beispiel:
Welche Auswirkungen hat es
auf die Gesellschaft, das Verhältnis von Erwerbstätigen und Erwerbslosen? auf den Sozialstaat, auf die sozialen Sicherungssysteme ? Werden diese gestärkt oder geschwächt ?
auf den Arbeitsmarkt ? wird der Wettlauf um nicht vorhandene Arbeitsplätze verschärft oder vermindert?
auf den Lohnsektor? wird dadurch Lohndruck und/oder –abbau erzeugt? welche Auswirkungen hat es auf die (Flächen)Tarifverträge?
auf die öffentliche Daseinsvorsorge? wird sie geschwächt oder gestärkt?
auf die Steuerpolitik, die ja mit über die große Frage „Finanzierbarkeit“ entscheidet?
wer garantiert beim Götz Werner Modell z.B., dass seine 48%ige MWsteuer nicht die Waren erheblich verteuern?
Das sind nur einige der wichtigsten Fragen an alle Modelle.
Eines sollten wir allerdings bedenken: Das BGE kann nur ein, wenn auch wichtiger Aspekt all jener sozialpolitischen Maßnahmen sein, die in unserem (noch) sozialen Gemeinwesen sozialen Zusammenhalt und gesellschaftliche Integration sichern.
Wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen in einem sozial vernünftigen Verhältnis zu einem noch zu erstreitenden Mindestlohn steht, wenn die Massenarbeitslosigkeit auch durch eine generelle Arbeitszeitverkürzung für alle gemildert wird, sehe ich gute Chancen für ein sozialeres, gerechteres und friedliches Miteinander.
Allerdings: wie die Rente ab 67 gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit aber auch ohne deren massiven Proteste Gesetz wurde, zeigt, wie weit und wie schwierig der soziale Weg noch sein kann.
Wolfgang Schulz


Warning: date() expects parameter 2 to be long, string given in /var/www/web65/html/pforzheimer-rundschau.de/show_produkte_show_responsiv.php on line 52

· 1832. Das Fest der Demokratie
· Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, erklärt zum Tag der Pressefreiheit:
· Fridays for Future stellt seinen Plan für die EU-Kampagne vor
·  Die Linke Pforzheim präsentiert umfassende Pläne zur Belebung der Fußgängerzone
· Am Montag und Dienstag zweitägiger Warnstreik bei der Deutschen Telekom


Diskussion


... in der Tat, sehr sorgfältig MUSS geprüft werden, welche Folgen ein BGE hätte. Das Positive: Es fielen endlich die entwürdigenden Demütigungen und Repressalien fort - Das Negative: Es wird wohl niemals mehr "Arbeit für alle" geben. Das würde bedeuten, dass dann sehr, sehr viele Menschen immer in Armut würden leben müssen, wenn gleichzeitig alle sozialen Netze demontiert würden. Die Idee ist ganz und gar nicht neu: Andre Gorz, "Wege ins Paradies", 1983 - Reinhard Klopfleisch, "Die Pflicht zut Faulheit", 1991. Zur Umsetzung eines BGE bedarf es nicht nur irgendwelcher "Machbarkeiten", sondern nicht mehr und nicht weniger als eines "Wertewandels", "... in der Lohnarbeit nicht mehr der wichtigste Bezugspunkt des Lebens ist." - Klopfleisch - Und bis dahin vergeht wohl auch noch sehr viel Zeit. Und ich bin mir nicht sicher, ob diese "etwas andere" Betrachtungsweise denn gewollt ist. Schliesslich würde eine solche Sichtweise die Menschen, zum 1. Mal in der Geschichte, in eine "zwanglose" Freiheit entlassen ! "Gefährlich, gefährlich" !

Autor: Brigitte Herrmannsen
19.04.2008 - 20.53

mitdiskutieren
Name
Email*
Beitrag**
Spamcode
eingeben
9567
* die Emailadresse wird nicht veröffentlicht.
Datenschutz / Impressum